Etwas Dorf, etwas Stadt und ganz viel Grün
Die Erschließung von Weiherfeld begann 1923 / Rund 2 800 Menschen leben in
dem Stadtviertel an der Alb
Von unserem Redaktionsmitglied Patrizia Kaluzny
Hinter dem Albtalbahnhof fing der Urwald an. So sah das zumindest ihr Fritz
damals. Noch heute schmunzelt Eleonore Brüstle über diese Geschichte. „Wir
gingen zusammen in die Tanzstunde, danach hat mich Fritz, mein späterer Mann,
immer bis zum Albtalbahnhof begleitet. Er fand das ganz schrecklich, wo ich
wohnte, für ihn war das die reinste Pampa", sagt die 80-Jährige und lacht. Der
Fritz wohnte nämlich in der Oststadt, war eine richtige „Stadtpflanze", seine
Eleonore kam aus dem Weiherfeld. „Das war damals noch so, als ob man auf dem
Land wohnen würde, vom Albtalbahnhof wanderte man durch viel Grün, Wiesen und
Äcker, um nach Hause zu kommen", erinnert sie sich. Später habe ihr Fritz das
„Leben auf dem Land" aber dann doch sehr genossen.
Zur
Arbeit ging es trotzdem in die Stadt, das Paar hatte viele Jahre eine Fahrschule
in der Akademiestraße. Über ihr Weiherfeld, wo sie 1930 geboren wurde, kann
Eleonore Brüstle, die in dem Quartier links der Alb von allen einfach nur Ellen
genannt wird, mit Begeisterung erzählen. 1928 zogen ihre Eltern in die
Belchenstraße, einige Jahre später bauten sie ihr eigenes Haus in der
Schauinslandstraße. Dort wuchs Ellen mit ihren beiden Brüdern auf. „Im Sommer
gingen wir mit unserem Vater ins Sonnenbad zum Plantschen, das war ein ganz
kleines Bad, das sich links der Alb Richtung Beiertheim befand", erinnert sich
Ellen Brüstle. „Oder wir gingen zum Baden in die Alb beim Grottenbächle." Der
Kindergarten war damals in einer Holzbaracke in der Tauberstraße untergebracht.
„Es war zugleich die Kirche." Dieser Raum stand der evangelischen Gemeinde 19
Jahre lang als einziger zur Verfügung. Erst im Herbst 1947 wurde die
Friedenspfarrei gegründet („die Friedenskirche wurde aus den Trümmern des
Karlsruher Rathauses gebaut"). In Ellen Brüstles Gedächtnis haften aber auch
sehr traurige Erinnerungen. Die an den Zweiten Weltkrieg, an die Bombenangriffe.
„Zwei Mal hat es Weiherfeld, das durch die Nähe zum Hauptbahnhof besonders
gefährdet war, getroffen, 1942 und 1944", berichtet die Weiherfelderin. „Am 4.
Dezember war mein Elternhaus weg." Aber auch viele andere Häuser lagen in Schutt
und Asche. „Wir überlebten nur, weil wie zu diesem Zeitpunkt bei der Großmutter
in der Pfalz waren." Dass ihr Vater bei dem Angriff nicht ums Leben kam,
verdanke er reinem Zufall, so Brüstle. „Er war auf der Polizeistation, die
damals in Ettlingen ausgelagert war. Eigentlich wollte er nach Hause, doch seine
Kollegen meinten, seine Familie sei doch nicht da, er solle bleiben und mit
ihnen Binokel spielen.” Das Kartenspiel hat ihm das Leben gerettet. Angeregt
durch den Gedanken, auch Großstadtmenschen naturnahes Wohnen zu ermöglichen,
ging man in Karlsruhe schon 1907 mit dem Bau der Gartenstadt Rüppurr neue Wege
der Stadtteilgestaltung. Etwas Ahnliches stellte man sich auch für die Bebauung
der Weiheräcker vor. Mit der planmäßigen Erschließung des Gebietes begann die
Stadtverwaltung dann im Jahr 1923. Zunächst waren es vor allem Eisenbahner und
vertriebene Elsass-Lothringer, die sich als erste Weiherfelder in eigenen
Häuschen mit Garten oder im „Elsässer Block" in der Neckar-, Main-, Enz- und
Acherstraße ansiedelten. Als die Bahn einen Großteil ihrer Baugrundstücke an
Bahnbedienstete verkaufte, setzte um 1930 auch die private Bautätigkeit ein.
Heute leben über 2 800 Menschen in dem grünen Stadtviertel, das im Osten von der
Alb, im Südwesten vom Weiherwald, begrenzt wird. Durch den Zuzug von jungen
Familien haben manche Straßenzüge nicht nur durch einen neuen Hausanstrich eine
regelrechte Verjüngungskur erhalten, sondern auch der Anteil an Kindern ist
enorm gestiegen. Lange Zeit galt das Weiherfeld als überaltert. So schön grün
und ruhig es im Weiherfeld ist, so wenig Einkaufsmöglichkeiten gibt es. Das war
früher anders. „Es gab eine Vielzahl von Krämer- und Tante-Emma-Läden",
berichtet Ellen Brüstle. Man ging zum Beispiel zum Prohaska („da gab es einfach
alles, vom Nagel bis zum BH") und ins Milchgeschäft von Frau Reichert. „Ich
holte dort immer mit einer Kanne frische Milch", erinnert sich Brüstles Tochter
Bettina und lacht, „es stank dort immer ganz schlimm nach Käse". Und man ging
sogar ins Kino. Das war nämlich einst im Restaurant Weiherhof in der
Neckarstraße untergebracht. Großstadtluft im ländlichen Weiherfeld.
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