Kaufmann mit Leib und Seele
Ludwig „Lulu" Harbrecht führt seit 1947 sein Textilgeschäft
kal. Wer zum ersten Mal herein kommt, staunt einfach nur: Die Kartons stapeln
sich bis zur Decke, in den Regalen türmen sich zusammengelegte Blusen, T-Shirts,
Hosen und andere Textilien. Unter den Regalen und der Ladentheke? Kartons
natürlich, was sonst? Jeder Spalt, jede noch so kleine Lücke - bei „Lulu im
Weiherfeld" wird jeder Zentimeter ausgenutzt. Und während der Kunde fast nicht
dran glaubt, dass man hier irgendetwas findet, greift die Hand einer lächelnden
Verkäuferin in ein Regal, angelt nach einen Karton und zieht exakt das
gewünschte Stück heraus.
„Das hier ist gewachsen und hat System", versichert Ludwig (Lulu) Harbrecht. Der
81Jährige Patron ist Kaufmann mit Leib und Seele. Mit 17 Jahren übernahm er das
Textilgeschäft seiner Familie und führt es bis heute. „Lulu im Weiherfeld", das
ist mehr als ein traditionsreiches Textilgeschäft, es ist eine Institution.
„Meine Mutter Marie hat das Haus 1924 gebaut", erzählt Lulu und klopft wie zu
Bestätigung mit seinem Gehstock. Diese Marie war es auch, die als Gouvernante in
Frankreich arbeitete und von dort den ungewöhnlichen Kosenamen Lulu für ihren
Sohn mitbrachte.
Zunächst sei das Geschäft im Wohnhaus ein kleiner Krämerladen gewesen,
inklusive einer Postagentur. Nach dem Zweiten Weltkrieg musste die Familie
wieder bei Null anfangen.
„Wir hatten 80 Markt Startkapital", erinnert sich der fünffache Vater und
neunfache Großvater. „Jeden Tag fuhr ich mit dem Fahrrad zum Großhändler in die
Gartenstraße, kaufte für zwei bis fünf Mark Nähseide, Nadeln, Stopfgarn - mehr
war zu der damaligen Zeit nicht möglich." Das Geschäft wuchs kontinuierlich,
1968 erwarb Harbrecht das Nebenhaus. „Wir haben alles - vom Wickelwestchen für
das Neugeborene über eine schicke Corsage bis zur Herrenhose für einen
viereinhalb Zentner Mann", sagt Ludwig Harbrecht stolz. Der Kunde ist König und
bester Service - das sind die ungeschriebenen Gesetzte im Hause „Lulu". Elf
Angestellte kümmern sich um das Wohl, fast alle gehören zur Familie. Schwägerin
Annemarie ist seine rechte Hand, Ehefrau Gerda steht ebenso im Laden wie die
Söhne Werner und Alexander und Tochter Gabriele, die für den Einkauf zuständig
ist.
Seine große Leidenschaft war die Kunst. „Ich wollte Kunstmaler werden, habe
an der Kunsthochschule bei Professor Burkhardt studiert." Doch es sei die
falsche Zeit gewesen. „Es wäre brotlose Kunst", sagt Harbrecht mit Wehmut in der
Stimme. Sehr schwer sei es ihm gefallen. Die angefangenen Bilder von damals
besitzt er noch heute. Wollte er sie nie fertig malen? „Für Kunst braucht man
Muse - und die hat ein ordentlicher Kaufmann nicht."